Vor dem Tor zum Paradies

FlorentinerPrachtpforteDie neunte Klasse der freien Waldorfschule St Michael besucht Lorenzo Ghibertis Florentiner Prachtpforte bei der WMF in Geislingen.

27 Jahre arbeiteten die geschicktesten Künstler und Handwerker in Teamarbeit und mit höchstem Anspruch an diesem Lebenswerk, von dem Michelangelo sagte, es sei würdig, die Pforte des Paradieses zu schmücken, und das daraufhin als „die Paradiespforte“ bezeichnet wurde. Bahnbrechend waren Konzept und Ausführung zu ihrer Zeit: Erstmals in der Kunstgeschichte wurde einem Künstler gänzlich freie Hand gelassen bei der Gestaltung eines Auftragswerks. Diese Freiheit nutzte er, um in der Kunstgattung des Reliefs bildnerische Mittel der Malerei einzusetzen: die Perspektive in Form von Linear- aber auch Luftperspektive, mit der eine plastische Gestaltung eine bis dahin nicht gekannte räumliche Tiefenwirkung erreichte – wie ein Gemälde. Auch für den erst 23 Jahre später geborenen Bildhauer Michelangelo waren diese Reliefs Vorbild und Ansporn, er hat sich in seinem Werk nachweisbar auf Ghiberti bezogen.

Mit seinen Dimensionen von 4 x 6 Metern ist es ein monumentales Werk, beeindruckend, davor zu stehen. Die 9. Klasse der Geislinger Waldorfschule durfte – den Verantwortlichen der WMF sei Dank – die auf der Welt besterhaltene Ausfertigung dieser Arbeit auf dem Werksgelände ausgiebig betrachten und zeichneten Detailstudien in dem eigens für die Präsentation der Tür gestalteten Raum. Damit konnte der Kunstbetrachtungsunterricht bereichert werden, der in der Waldorfschule als eigenes Unterrichtsfach betrieben wird: Jeden Tag während eines vier Wochen dauernden Unterrichtsblocks, in der Waldorfschule „Epoche“ genannt, betrachten die Schüler Kunstwerke, lernen unterschiedliche Auffassungen von Schönheit kennen und vertiefen ihre Aufmerksamkeit und Einfühlungsgabe anhand ausgewählter Kunstwerke.

„Die Paradiespforte ist ein hervorragendes Werk, um sogar vor einem (quasi-)Original in den originalen Dimensionen ein vertieftes Erlebnis zu haben. Entsprechend zeigten sich die Schüler beeindruckt, die das monumentale Kunstwerk zumeist erstmals sahen. Im Unterricht müssen Projektionen der Bilder oder Präsentationen von Kunstdrucken den originalen Eindruck ersetzen – da geht freilich eine Menge verloren.“ so Kunstlehrer Hermann Dölger, der die Klasse begleitete. Daher ist auch schon die nächste Exkursion zur Kunst geplant: in die Stuttgarter Staatsgalerie, zu den originalen Werken der Malerei.

Berichterstatter: Hermann Dölger